Home/Office

Home/Office Weihnachtsstern

„Musst Du jetzt gleich arbeiten, Mama?“ „Nein, ich muss nicht arbeiten.“ Du schaust mich mit großen Augen ungläubig an. Dein Erstaunen erschreckt mich und ich frage mich, wie es dazu kommen konnte, dass mein: „Komm, wir gehen nach Hause“ für Dich bedeutet: „Komm, Mama muss arbeiten.“

Homeoffice – anfangs klang es harmlos und irgendwie bequem. Bald zirkulierten lustige Fotos in unseren privaten Chats von Zoommeetings, in denen wir oben ganz schick und ab dem Bauchnabel im Pyjama vor dem Bildschirm saßen. Ein anderes Mal ärgerte ich mich über ein manövrierunfähiges Display, weil ich bei ausgeschalteter Kamera noch schnell unter die Dusche springen wollte. Das Touchpad reagierte verwirrt auf die Wassertropfen oder die Fettspritzer, wenn ich nebenbei für Dich das Mittagessen kochte.

Viele Szenen dieser Art reihen sich in meinem Kopf aneinander, Szenen die mit zunehmender Homeoffice-Dauer an Witz verloren haben: ich, wie ich Dich bei ausgeschalteter Kamera ermahne, dass Du die Bauklötze doch bitte etwas leiser in die Kiste werfen sollst. Auch ich: lächelnd die Kamera anschalten, entspannt aussehen, einen Redebeitrag leisten und sofort Bild und Ton wieder ausschalten, um weiter mit Dir an Deinem Bild malen zu können.

Es ist schön, dass es mittlerweile fast selbstverständlich ist, wenn Du „bei der Arbeit dabei bist“. Sei es weil Du mal wieder in Quarantäne bist oder die Kita personell stark unterbesetzt ist. Ich schätze das verständnisvoll-mitfühlende Lächeln das aus dem Monitor auf meinen Schreibtisch strahlt, wenn Du auf meinen Schoß krabbelst. Aber abgesehen von der eigenen Belastung und der Tatsache, dass ich so weder der Arbeit noch Dir gerecht werde – wie fühlt sich dieser Zustand für Dich an?

Die Grenzen verschwimmen immer mehr, das Private ist längst nicht mehr privat.

Unser Zuhause ist ein Zuhause mit öffentlichem Zugang geworden. Da hilft auch kein mit Tüchern abgehangenes Arbeitszimmer. Die Energie der vielen Köpfe auf dem Monitor scheint um die Tücher herumzufließen. Das Office ist immer präsent.

Vielleicht liegt es an der Schreibweise: Homeoffice. Ein Wort ohne Trennung. Niemand schreibt Home/Office – vielleicht würde es da eher auffallen, was das eigentlich ist, was das mit uns macht. Oder anders gesagt: wie wäre ein Officehome? Ich gehe zur Arbeit und bringe mein Kind, die Spielsachen, den Hund und die Bettdecke mit. Damit wir es beim Arbeiten gemütlicher haben und den logistischen Aufwand der Fahrten zu Schule, Kita und Arbeit minimieren. Oder gar ein Schoolinghome – während Dein großer Bruder in der Schule lernt, sitzen wir Eltern geschäftig daneben mit dem Laptop auf dem Schoß. Du darfst in der Zwischenzeit mit den anderen kleinen Geschwistern um die Tische rennen und in der Kuschelecke Verstecken spielen.

Es klingt absurd und doch ist all das ist in den vergangenen zwei Jahren hier und in unzählige andere Wohnungen eingezogen. Vieles ist wieder ausgezogen – die Schule, der Sport, die Kita, doch die Arbeit ist geblieben und mit ihr das Office. Es nimmt Raum ein und atmet unsere Luft, unsere Ruhe, unseren Rückzugsort. Sogar Dein Kinderzimmer hat es annektiert.

Es ist untrennbar verbunden mit durch Hörspiele kaschiertem Warten auf Mama, weil dieses eine Zoommeeting unmöglich zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden konnte. Dabei ist es sicher ok, wenn Du mal alleine spielst und dabei ein Hörspiel hörst. Den Zeitpunkt dafür solltest Du Dir aber selbst aussuchen können. Und so entlarvst Du mit Deiner Frage all die gut gemeinten Versuche, die Arbeit doch irgendwie von Dir fernzuhalten und unser Zuhause vor dem Office abzuschirmen. Beim Blick in Deine fragenden Augen ist klar:

Das Office hat ganz still und zielstrebig unser Home geraubt

Ich stelle meine Tasche ab und setze mich zu Dir auf den rot-braungemusterten Teppich in unserem Flur: „Was möchtest Du denn gerne machen?“ „Ich will spielen, Mama.“
Du kuschelst Dich in meinen Arm. Ich streife Dir Deine blaue Wollmütze vom Kopf und lege sie ins Regal. Wir holen die Playmobil-Männchen aus der Kiste und schicken sie auf eine Reise zur Eierkartoninsel auf unserem Küchentisch. Ein Relikt aus dem ersten Lockdown.

Home/Office Eierkartoninsel

Wir haben sie gebastelt als unser Home noch unsere Insel war. Eine Insel auf der wir, als alles plötzlich still wurde, tagelang zusammen gespielt, gebacken und geträumt haben. Damals, als Zoom-Meetings und Selbstbeschäftigungszeit noch eine Seltenheit waren und Du noch nicht regelmäßig auf meinen Rücken schauen sondern in meine Augen sehen konntest.

Ich stelle zwei Tassen warmen Kakao auf den Tisch und hole die Bienenwachsplatten aus dem Regal. Die Playmobilmännchen haben gerade das Papierboot vor der Insel geentert. Nun schauen sie uns zu, wie wir kleine Wabenkerzen aus den Bienenwachsplatten rollen. Als es draußen dunkel wird, zünden wir die erste selbstgemachte Kerze an.

„Mama, jetzt will ich Sterne an die Fenster kleben.“ Du hältst die Karte mit den Stickern hoch, die wir schon für Weihnachten gekauft haben. Ich puste die Kerze wieder aus und folge Dir durch unsere Wohnung. Du hälst meine Hand ganz fest und ziehst mich strahlend von einem Fenster zum nächsten. „Mama, hier muss noch einer hin! Und hier! Und da drüben auch!“
Wir kleben Sterne an alle Fenster. Danach stellen wir Schneekugeln auf, verteilen die selbstgemachten Bienenwachskerzen auf den Fensterbänken und hängen die Adventskalender auf. Mit jeder weiteren weihnachtlichen Zutat leuchten Deine Augen ein bisschen mehr: „Mama, Weihnachten ist die schönste Zeit in meinem Leben.“ Wir knipsen die Lichterkette an und kuscheln uns mit einem Buch auf die Couch.

Stück für Stück kehrt unser Home zurück und verbannt das Office vor die Tür.

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